Unsere Schülerinnen kamen begeistert von ihrer Reise auf dem Großsegler Ludgerdina aus Holland zurück. Diese Freizeit war von der Universität Dortmund in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule organisiert worden. Die Begeisterung der Kollegen und unserer Jugendlichen steckte uns an: warum sollte es uns nicht gelingen, in Eigenverantwortung ein solches Unternehmen zu organisieren? Vielleicht mit einer großen Segelyacht, die den Bedürfnissen unserer Jugendlichen entgegenkommt. Das war 1990.
Nach einem Jahr Suche fanden wir in Staveren die Shamrock und ihren freundlichen Eigner, Arne Bremer. Damals noch Manager der braunen Flotte Stavoren, hatte er sofort Verständnis für unser Anliegen. Nicht zuletzt war ihm das Segeln mit Behinderten in Holland von Berufs wegen vertraut.
Bereits die erste Fahrt im folgenden Jahr bestätigte unsere Erwartungen. Sie wurde zu dem Erlebnis für unsere Schüler und brachte ihnen spürbare Anstöße zur persönlichen Entwicklung.
Auch in den weiteren Jahren zeigte sich, welche Fülle praktischer Herausforderungen der Lebensraum Schiff bieten kann. Segeln heißt zunächst, sicheren Boden zu verlassen. Schließlich gelten auf dem Wasser andere Gesetze. Die behinderten Jugendlichen spüren dies sofort, wenn sie die Shamrock betreten: Hier ist alles anders, hier verlassen wir unsere bewährten Schonräume. Mit einer völlig neuen und fremden Umgebung konfrontiert, beginnen sie zu fragen. Wie gehen die Schubladen auf? Warum gibt es keine Wasserhähne? Wie funktioniert die Toilette? Aber jede Frage erhält eine Antwort. Entweder durch eigenes Erforschen und Ausprobieren oder durch direkte Hilfestellung.
Aber keine Sorge, jeder lernt es. Die Vorgänge auf und unter Deck wiederholen sich. Sie sind streng logisch, einfach nachzuvollziehen und stellen einen Rhythmus dar. Wenn man die wichtigsten Regeln verstanden und verinnerlicht hat, geben sie Ruhe und Sicherheit. Die klare Struktur der Vorgänge und Abläufe sind für unsere SchülerInnen eine wesentliche Orientierung und Voraussetzung für erfolgreiches Lernen.
Dennoch sehen sich unsere Jugendlichen oft mit manchen Problemen konfrontiert, die sich Nichtbehinderte so kaum vorstellen können: Finde ich mich heute Abend im fremden Hafen zurecht? Finde ich den Weg vom Waschhaus zum Schiff zurück oder verlaufe ich mich im Gewirr der Stege? Komme ich allein von Bord oder brauche ich Hilfe? Kann ich mit einer Hand sicher die Leiter hinaufsteigen? Was ist, wenn ich tagsüber mal aufs Klo muß? Kann ich mich dort festhalten und komme ich mit den Ventilen für die Spülung klar?
Hoffentlich mache ich beim Anlegen keinen Fehler mit meinem Festmacher?
Und wenn mir morgen beim Segeln schlecht wird?
Das Leben an Bord eines Segelschiffes ist ein Zusammenspiel der Kräfte. Gerade Körperbehinderte können durch gute Arbeitsteilung lernen, sich zu ergänzen. Jeder einzelne, auch wenn er schwerstbehindert ist, kann für die Gemeinschaft wichtig sein. Schließlich bringt die Vielfalt der Aufgaben eine Vielfalt der Möglichkeiten, seine Fähigkeiten und Neigungen einzusetzen und zu entwickeln.
Die Anforderungen für unsere Schüler sind hoch. Trotz der Vertrautheit und der Geborgenheit, die die Gruppe schenkt, entstehen Ängste.
Dass die Ängste und angstbesetzte Situationen bewältigt werden, dafür müssen die Lehrer sorgen. Aber was gibt es schöneres, als Angst zu besiegen? Wie begeistert lässt sich hinterher darüber erzählen und lachen? Bezwingbare Ängste - diese Erfahrungen haben wir auf unseren Fahrten immer wieder gemacht - stärken das Selbstwertgefühl unserer SchülerInnen wie kein anderer schulischer Erfolg. Und Selbstbewusstsein entwickeln - das ist für sie genauso wichtig wie Lesen und Schreiben lernen.